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50 Jahre "Niedersachsenkonkordat"

  Bildrechte: Torsten Lippelt
von links: Ministerpräsident Stephan Weil, die Deutsche Botschafterin beim Heiligen Stuhl Annette Schavan und der Nuntius Erzbischof Dr. Nikola Eterović
Blick über die Gäste in Richtung Rednerpult und Bühne, Weil steht am Rednerpult   Bildrechte: Torsten Lippelt
Am 26. Februar 2015 fand in Hannover die Feierstunde zum 50. Jahrestag der Unterzeichnung des Konkordats zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Land Niedersachsen statt. Das im Jahr 1965 unterschriebene "Niedersachsenkonkordat" war der erste Staatsvertrag dieser Art zwischen einem deutschen Land und der katholischen Kirche.
Vor rund 150 Gästen im Festsaal des Alten Rathauses, darunter dem päpstliche Nuntius in Deutschland, Erzbischof Dr. Nikola Eterović, erinnerte Ministerpräsident Stephan Weil in seinem Grußwort an die Entstehungsgeschichte dieses Vertragswerks und seine Bedeutung in der Gegenwart.
Das Grußwort von Ministerpräsident Weil hat folgenden Wortlaut:

„Sehr geehrter Herr Erzbischof Dr. Eterović, sehr geehrte Herren Bischöfe,

sehr geehrte Frau Schavan, meine Damen und Herren!

Es ist heute auf den Tag genau 50 Jahre her, dass das Niedersachsenkonkordat unterzeich­net wurde. Am 26. Februar 1965 kamen der damalige Apostolische Nuntius in Deutschland, Erzbischof Dr. Bafile, und der frühere Niedersächsische Ministerpräsident Dr. Georg Die­derichs hier in Hannover zusammen, um im Gästehaus der Landesregierung das Konkordat zu unterzeichnen.

Der Begriff „Konkordat“ kommt bekanntlich vom lateinischen Wort „concordia“. „Concordia“ bedeutet wiederum Eintracht, Einklang, Einvernehmen. Wer sich heute die öffentliche Dis­kussion vergegenwärtigt, die vor 50 Jahren dem Niedersachsenkonkordat vorausgegangen war, der weiß sehr genau, dass damals längst nicht überall „concordia“ über diesen histori­schen Vertrag bestanden hatte.

Nach dem Zweiten Weltkrieg sind viele Katholiken als Flüchtlinge und Vertriebene nach Nie­dersachsen gekommen, in ein Land also, das damals sehr protestantisch geprägt war. Schon in den 50er Jahren waren in Niedersachsen zehntausende Katholiken auf die Straßen gegangen, sie protestierten vor allem gegen die damalige Schulpolitik. Auf der anderen Seite gab es politische Auseinandersetzungen zwischen den Parteien. Es waren durchaus harte Auseinandersetzungen, letztlich zerbrach sogar eine Regierungskoalition daran.

Wer das damals noch nicht oder zumindest nicht bewusst miterlebt hat, für den ist es heute sicherlich schwer verständlich, wie und wieso es zu derart heftigen Kontroversen kommen konnte. Das Land und die Kirche haben längst ein gutes und vertrauensvolles Verhältnis ent­wickelt, auch und gerade dort, wo sie zusammenarbeiten. Das aber, meine Damen und Her­ren, war längst nicht immer selbstverständlich. Und selbst dann, wenn es uns heute selbst­verständlich erscheint, so macht dies das Konkordat nicht überflüssig, sondern es unter­streicht seinen großen Wert, den es bis heute hat. Mit dem Niedersachsenkonkordat wurde ein stabiles Fundament für die Zusammenarbeit und die Zuständigkeiten von Staat und Kir­che geschaffen. Diese Regeln wurden aber aus gutem Grund nicht in Zement gegossen. Sie wurden immer wieder angepasst, um mit der Lebenswirklichkeit und mit unserer Zeit Schritt zu halten.

Eine gute, funktionierende Zusammenarbeit zwischen Staat und Kirche ist sicherlich beson­ders wichtig in einer Zeit, in der uns vieles unsicher scheint. Unser Zusammenleben ändert sich rasant, nicht nur in Niedersachsen und Deutschland, sondern weltweit. Wir werden mo­biler, sind immer stärker in globale Zusammenhänge eingebunden. Informationen fließen schneller, ungeachtet aller räumlichen Distanzen. Unser Land wird bunter, wir treffen immer häufiger auf Menschen, die aus ganz anderen Kulturen kommen und die ganz andere Hinter­gründe haben. Unsere Welt entwickelt sich, das kann man wirklich so sagen, immer mehr zum globalen Dorf.

Manche oder sogar viele von uns sehen das als große Chance. Andere sind eher besorgt o­der fühlen sich überfordert von dieser Unübersichtlichkeit, ohne dass dieses Gefühl gleich etwas mit Fremdenfeindlichkeit zu tun hätte.

Aber gerade in einer solchen Zeit brauchen wir Orientierung. Viele Menschen finden diese Orientierung in ihrem Glauben. Religion wirkt für sie sinnstiftend, weil sie einen Wertekon­sens herstellt. Diesen Wertekonsens sollten wir nutzen, aber nicht in dem Sinne, dass wir uns abgrenzen, sondern in dem Sinne, dass wir die Werte betonen, die uns verbinden.

Staat und Kirche können sich dabei hervorragend ergänzen, das bestätigt sich immer wie­der. Wir sehen das in der Zusammenarbeit mit der katholischen Kirche, die heute seit 50 Jahren im Niedersachsenkonkordat geregelt ist. Wir sehen das in der Zusammenarbeit mit den Jüdischen Gemeinden, mit denen wir bereits einen Vertrag haben. Und wir sehen das auch in der Zusammenarbeit mit den muslimischen Gemeinden, mit denen wir derzeit über einen entsprechenden Vertrag verhandeln.

Für uns als Landesregierung sind die Kirchen und Glaubensgemeinschaften ein außeror­dentlich geschätzter Partner. Und zwar längst nicht nur in den Dingen, die vertraglich verein­bart sind. Die Kirche ist für uns vor allem ein kluger Ratgeber, und es ist wichtig, dass sie sich weiter in die öffentliche Diskussion einbringt.

Sie wird an vielen Stellen gebraucht. Nehmen wir etwa die Bekämpfung von Armut, die Un­terstützung von Hilfebedürftigen oder auch den Umgang mit Flüchtlingen. Bei all diesen Auf­gaben ist zwar der Staat gefordert, aktiv zu sein und die richtigen Maßnahmen zu ergreifen. Das Bewusstsein aber, dass wir Schwächeren helfen oder Notleidende willkommen heißen sollten, das kann niemand beschließen, verordnen oder vorschreiben. Dieses Bewusstsein entsteht durch Werte, die auch die Religion vermittelt und in unsere Gesellschaft hineinträgt.

Der Rechtsphilosoph und frühere Bundesverfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde hat das schon 1976 in prominenter Weise formuliert, als er schrieb: „Der freiheitliche, säkula­risierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“

Daran sollten wir auch heute denken. Der Staat kann viele Dinge anstoßen, er kann große Ziele ausrufen. Aber mit Leben gefüllt wird all das erst durch die Menschen, die mit ihrer Überzeugung dahinterstehen und mit anfassen. Das sehen wir nicht zuletzt in vielen Einrich­tungen vor Ort, gerade auch in kirchlichen Einrichtungen, in denen sich Menschen hauptbe­ruflich oder ehrenamtlich engagieren, um etwas für die Gemeinschaft zu tun.

Anrede,

mehr Miteinander in unserer Gesellschaft bleibt weiterhin das Gebot der Stunde. Ich wün­sche mir deshalb, dass die Kirchen und Glaubensgemeinschaften weiter ein gewichtiges Wort mitreden, wenn wir über die aktuellen Herausforderungen unserer Zeit sprechen. Un­sere Gesellschaft kann nur dann mitfühlend und einfühlsam handeln, wenn sie sich an ihre Werte erinnert.

Ich freue mich in diesem Sinne auf den weiteren Austausch mit Ihnen, am heutigen Abend genauso wie in der Zukunft!"

Ministerpräsident Weil am Rednerpult Bildrechte: Torsten Lippelt

Ministerpräsident Weil

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