Entstehung des Absolutismus und Aufstieg Kurhannovers
Der Dreißigjährige Krieg hatte Niedersachsen 1623 kaum berührt, bevor das Land durch Christian IV. von Dänemark in die militärischen Aktionen einbezogen wurde. Nach dessen Niederlage bei Lutter am Barenberge (27. August 1626) sehen die Flußtäler von Leine und Weser immer wieder Durchzüge von großen Heeren, die, ob Freund oder Feind, marodierend und brandschatzend das platte Land viel stärker belasten als die hinter ihren Mauern besser geschützten Städte. Nach dem Westfälischen Frieden 1648 wurde offenbar, daß der niedersächsische Raum insgesamt nicht so stark gelitten hatte wie andere deutsche Landschaften. Die geschickte Neutralisationspolitik Graf Anton Günthers hatte das Oldenburger Land aus dem Krieg herausgehalten, und die verheerendste, die letzte Phase des Krieges verschonte weitgehend die welfischen Lande, Folge einer Friedenspolitik, deretwegen die Welfen beim Territorienschacher des Westfälischen Friedens schlecht abschnitten.
Eine indirekte Folge des Dreißigjährigen Krieges betraf auch Niedersachsen: der durch die Entwicklung des Kriegswesens erforderliche Steuerdruck und der damit heraufbeschworene Absolutismus. Er begegnet auch in der nordwestdeutschen Territorienwelt von der höfischen Repräsentation bis hin zu den aufwendigen fürstlichen Jagdvergnügungen in seinen typischen Erscheinungsformen. Die fürstlichen Bauten jedoch sind in diesem Raum ohne zeitüblichen Überschwang errichtet, halten das Maß, das auch politisch dem Absolutismus hier gesetzt wurde. Die Stände waren, wie die Fürsten Ostfrieslands etwa erfahren mußten, eine retardierende Kraft. Die Herrenhäuser Gärten, die Schöpfung der Kurfürstin Sophie († 1714), erinnern nicht nur an eine sich selbst abschließende, kunstverständige höfische Gesellschaft, sondern auch daran, daß Barock als Ausdruck der absolutistischen Epoche neben schwungvoller Ornamentik – ebenfalls Schlüsselbegriff der geistigen Orientierung der Zeit – "Systema", Geometrie, bedeutet.
Kurfürstin Sophie: Ein bis dahin in Niedersachsen unbekannter Herrschaftstitel ist damit aufgetaucht. Am 19. Dezember 1692 hatte der Kaiser in feierlicher Urkunde den Herzog der calenbergisch göttingischen Lande zum Kurfürsten des Reichs erhoben. Kanonendonner hatte dieses freudige Ereignis den Bürgern Hannovers, seit 1635 Residenzstadt kundgetan. Die Regierung des neuen Kurfürsten Ernst August († 1698) bedeutet einen Markstein in der Geschichte Nordwestdeutschlands, und das weniger wegen der unbestreitbaren Regententugenden des Herrschers, eher schon wegen des von ihm angebahnten Anfalls des Lüneburger Herzogtums. Diese Vereinigung war von zwei, europäisches Aufsehen erregenden Skandalgeschichten begleitet: der Mesalliance des letzten "Herzogs von der Heide", Georg Wilhelm von Celle (1676), und dem geheimnisumwitterten Scheidungsprozeß des Kurprinzen Georg Ludwig (1694) von der aus eben jener Mesalliance hervorgegangenen Sophie Dorothea, der Geliebten des Grafen Philipp Christoph von Königsmarck. Historischer Markstein ist die Herrschaft Ernst Augusts jedoch vor allem durch seine Heirat mit Sophie von der Pfalz geworden. Diese geistvolle Frau, die Gönnerin von Gottfried Wilhelm Leibniz, war die einzige protestantische Enkelin König Jakobs I. von England. Sie erwarb dem Hause Hannover die Anwartschaft auf den englischen Thron, die 1714 von ihrem Sohn Georg Ludwig, der als George I. englischer König wird, realisiert wurde. Eine bis 1837 währende Personalunion ist damit entstanden, keine staatsrechtliche Angliederung Hannovers an das Inselkönigreich.
Endgültig wird die Frage nicht zu beantworten sein, ob die englische Sukzession ein Gewinn nur für die welfische Dynastie oder auch ein Gewinn für das Land gewesen ist. In Folge des Siebenjährigen Krieges war das Kurfürstentum gewiß Leidtragender der englischen Politik, als es 1757 von Franzosen besetzt wurde. Aber auch das neutrale Hochstift Hildesheim hatte unter der Besetzung zu leiden. Für die Menschen kam es auf das gleiche heraus, ob politisch befreundete preußische oder verfeindete französische Truppen Quartier beanspruchten. Nöte und Lasten blieben die gleichen. Trotz der Erfahrungen des Jahres 1757, trotz der Gefahr, in die kriegerischen Verwicklungen der englischen Weltpolitik hineingezogen zu werden, hat doch die Verbindung mit England mehr Schutz und Frieden garantiert, als bei einem eigenständigen Kurfürstentum Hannover hätte möglich sein können. Sichtbarstes Zeichen für diese von den Zeitgenossen geteilte Einschätzung ist das Schleifen der Befestigungsanlagen in Göttingen um 1770 und sogar in Hannover um 1780. Unter englischem Schutz erschienen die aufwendigen Bastionen, erschien der einstmals sehr kostspielige Festungsausbau überflüssig.
Territorialpolitisch war die englische Sukzession gewiß ein Gewinn für das Kurfürstentum, ermöglichte sie doch schon 1715 (rechtsgültig erst 1719) den Erwerb der Herzogtümer Bremen und Verden. 1752 konnte im äußersten Westen des heutigen Niedersachsen die Grafschaft Bentheim zunächst pfandweise (endgültig 1815) erworben werden. Vor allen Dingen war es dem englischen Einfluß 1815 zu verdanken, daß das neue Königreich Hannover Ostfriesland, Stadt und Stift Hildesheim, Goslar, das Untereichsfeld und das Emsland erhielt und im Tausch mit Preußen nur das kleine rechtselbische Herzogtum Sachsen Lauenburg abtreten mußte. Während das welfische Herzogtum Braunschweig aus der großen Flurbereinigung der deutschen Staatenkarte 1803 und 1815 fast gar keinen Gewinn ziehen konnte, hatte sich Hannover zur dominierenden Macht des deutschen Nordwestens entwickeln können.